Jahrzehnt der Umbrüche
Mit den 1990er Jahren brach auch in Pritzwalk eine ganz neue Zeit an. Wohl in keinem Jahrzehnt in der jüngeren Zeit wandelte sich die Stadt so wie in diesem. Ohne die vorangegangene politische Wende wäre das so sicher nicht möglich gewesen. Am 6. November 1989 hatten sich rund 2000 Pritzwalkerinnen und Pritzwalker unter dem „Neuen Forum“ in der Sankt Nikolaikirche versammelt und waren später durch die Innenstadt gezogen.
Mit der Wende begann für Pritzwalk eine turbulente Dekade
Frust über die Unfreiheit des politischen Systems in der DDR, aber auch die schlechten Wohnverhältnisse, die Bevorzugung von SED-Genossen und die allgemeine Versorgungslage waren Grund genug für die Menschen, sich zu versammeln. Die Dienststelle der Staatssicherheit in der Bahnhofstraße, Symbol für das Unrecht des DDR-Staates in Pritzwalk, wurde friedlich von Protestierenden besetzt.
Freie Wahlen, lange Schlangen
In Pritzwalk traf sich ab dem 18. Dezember der „Runde Tisch“, um die Lage in der Stadt zu diskutieren. Am 6. Mai 1990 – ein Jahr nach dem letzten viel kritisierten „Zettelfalten“ der Kommunalwahl 1989 – fanden in Pritzwalk die ersten freien Wahlen seit der Zeit der Weimarer Republik statt.
Ab Mitte des Jahres gab es in der Stadt lange Schlangen vor den Banken zum Umtausch der DDR-Mark. Im Oktober des Jahres wurde formell die deutsche Wiedervereinigung vollzogen. Pritzwalk begründete die bis heute bestehende Partnerschaft mit dem niedersächsischen Winsen (Luhe).
Die Bevölkerung zog weg
Zur Euphorie des Aufbruchs und der neuen Möglichkeiten kamen bald auch die Sorgen und Ängste des wirtschaftlichen Bruchs bei der Öffnung der Märkte und der Privatisierung des „Volkseigentums.“ Vorzeigebetrieben der Stadt wie dem Zahnradwerk fielen plötzlich die Aufträge weg. Von 1330 Zahnradwerkern mussten fast alle bis auf 208 in kurzer Zeit gehen. Die Pritzwalker Großbäckerei, einer der ersten neu angesiedelten Betriebe der DDR-Zeit, wurde aufgelöst. Die Zukunft zahlreicher anderer Betriebe wie der Pritzwalker Brauerei war in Frage gestellt. Arbeitslosigkeit und andere schmerzhafte Einschnitte machten sich in Pritzwalk breit.
Viele suchten anderswo eine neue Arbeit. Schon in den 1980er Jahren stagnierte die Bevölkerungszahl. Durch die Umbrüche nach der Wende und die hohe Arbeitslosigkeit zog es viele Pritzwalkerinnen und Pritzwalker in die Ferne. Im ersten Jahrzehnt nach der Wende verlor Pritzwalk gut 1000 Einwohner. Immerhin blieb die Stadt von massiven Verlusten wie Wittenberge verschont.
Hochwasser brachte 1993 große Schäden
Neben den wirtschaftlichen und sozialen Umbrüchen schlug in Pritzwalk 1993 auch die Natur zu. Nach sintflutartigem Regen wurden am 12. Juni die sonst eher beschauliche Dömnitz und die unscheinbare Rodane innerhalb weniger Stunden zu reißenden Flüssen. Pritzwalks Straßen verwandelten sich in Wasserflächen und raus ging es nur noch mit Gummistiefeln. Viele Keller der Stadt waren komplett vollgelaufen.
Die Schäden waren enorm. Im Bereich der Havelberger und der Putlitzer Straße wurden die Fahrbahn und die Brücken schwer in Mitleidenschaft gezogen. Als die Fluten sich zurückzogen, klafften tiefe Löcher in den unterspülten Bereichen. Für viele Häuser im Bereich der Dömnitzinsel kam in der Folgezeit der Abriss. Nachdem die historische Bausubstanz in der DDR-Zeit wenig gepflegt worden war und viele Gebäude sich im desolaten Zustand befanden, brachten Wasser und Leerstand das Ende.
Rege Bautätigkeit begann
Bereits zu Beginn der 1990er Jahre hatte eine intensive Umgestaltung der Stadt eingesetzt. Die ehemalige Hefefabrik und Brennerei in der Marktstraße wurden abgerissen – sie gehörten zu den markanteren Gebäuden in dem Bereich. Der Industriekomplex in der Stadtmitte wich dem neuen Geschäftsgebäude der Volks- und Raiffeisenbank. Dieses wurde als einer der ersten größeren Neubauten Pritzwalks nach der Wende eröffnet.
Verwaltungsbereiche zogen weg
Im Dezember 1993 trat die Kreisgebietsreform in Kraft. Der Kreis Pritzwalk hörte auf zu existieren und ging im neuen Landkreis Prignitz auf. Viele Verwaltungsbereiche zogen nach Perleberg. Das Verwaltungsgebäude der Tuchfabrik, lange noch als „Rat des Kreises“ bekannt, wurde leergezogen. Im gleichen Jahr wurde Schönhagen in das Pritzwalker Stadtgebiet eingegliedert. 2002 dehnte sich das Verwaltungsgebiet Pritzwalks mit der Auflösung des Amtes Pritzwalk-Land auf die heutige Größe aus. Lars Schladitz